Plötzlich auffällig?
Ein Hund, der keine ausreichende Gelegenheit hatte, Frustrationstoleranz und Impulskontrolle lernen zu dürfen, der wird früher oder später Verhaltensauffällig. Wie stark diese ausfällt und auffällt hängt natürlich auch viel von äußeren Umständen und dem Charakter ab.
Das Problem, was wir immer häufiger sehen, ist, dass aufgrund des oben genannten Mangels, Verhaltensauffälligkeiten eigentlich bereits zu erkennen sind, bevor sie eskalieren.
Ein Beispiel. Ein Junghund zerrt er zu anderen Hunden hin. Sehr freundlich und überdreht und will unbedingt hin. Er kann sich kaum beherrschen und es wird von Begegnung zu Begegnung immer schlimmer. Irgendwann kommt Frust auf, weil er eben nicht immer zu jedem Hund darf. Er fängt, neben dem ziehen an der Leine auch zu fiepen an. Jede Begegnung wird das fiepen stärker und der Frust steigt. Irgendwann lässt er den ersten „Beller“ los. Das Bellen wird mit jeder Hundebegegnung stärker. Der Frust des Hundes steigt ins unermessliche. Er fängt jetzt an, aus Frust auch in die Leine zu beißen, denn irgendwo muss dieser Frust hin. Nach weiteren Begegnungen, mittlerweile ist der Junghund erwachsen (2-3 Jahre) geworden dreht er sich das erste Mal um und schnappt nicht mehr in die Leine, sondern in die Hand, welche die Leine hält.
Wer konnte das ahnen?
Anderes Beispiel. Ein junger Hund ist wirklich sehr aktiv und freut sich wie Bolle, wenn Besuch kommt. Er ist wild und springt hoch. Seine Impulskontrolle durfte er bisher nicht erforschen und erlernen. Der Hund wird künftig weggesperrt, wenn Besuch kommt. Er wird immer erst dazu geholt, wenn der Besuch bereits drin ist. Sein Frust steigt, denn auch das hat er bisher nicht lernen dürfen.
Er ist hibbelig und auch gefrustet. Bei jedem Besuch wird der Hund, nach dem freilassen aufdringlicher und Distanzloser. Er wird übergriffiger und in seinem Frust, seinem schmalen Grat zwischen Freude, Ablehnung, weil er immer weggesperrt wird und Kontrollverhalten, schnappt er in den Besuch. Alles noch scheinbar harmlos, weil es ja im unabsichtlichen Berühren war (oder?). Weitere Besuche vergehen und beim letzten Besuch, beißt er richtig zu.
Wer hätte das kommen sehen?
Viele Menschen greifen erst dann ein bzw. suchen sich Hilfe, wenn die Verhaltensauffälligkeit sichtbar ist, und zwar so sichtbar, dass es für den Menschen ein Problem wird.
Das ist auch erstmal nicht schlimm, denn es sind ja nicht alle Hundehalter Hundetrainer aber, es zeigt sich, dass wenn man früh genug sensibel mit Themen umgeht und sich bereits vorher Hilfe sucht, einige Problemhunde weniger im Tierheim sitzen würden.
„Das schaffe ich alleine „oder „Ich hab seit 30 Jahren Hunde.“ , hilft einem nicht weiter, wenn man eben genau diese ersten Anfänge nicht sieht und sein Leben um die Probleme herum baut. Auch die Ernsthaftigkeit und die Zusammenhänge kann ein Hundehalter häufig nicht erkennen.
Bei beiden Beispielen wird der Hund vermutlich generell ein Problem mit Anweisungen haben und diese immer wieder hinterfragen. Es wird ein Hund sein, der häufig echt drüber ist, springt, bellt, hibbelig ist und bei Zurechtweisung durch den Halter sich eher dem in den Weg stellt.
Das Problem ist, das dann versucht wird über Gehorsam die Impulskontrolle in den Griff zu bekommen. Das funktioniert meistens nicht, denn Gehorsam setzt Impulskontrolle voraus.
Ein Hund, der bei Besuch völlig freidreht, der wird nicht sitzen bleiben, wenn Besuch kommt.
Ein Hund der Rückwärtsgerichtete Aggression zeigt (dreht sich um und beißt in Leine oder Halter, wenn ein anderer Hund kommt) wird nicht in der Lage sein, im Kommando Fuß vorbeizugehen.
Statt also in der Situation anzufangen zu trainieren, sollte man lieber Zuhause den roten Faden suchen und ohne Kommandos arbeiten! Genauso, wie wir es in unserem Modul Impulskontrolle, aktuell bei den Junghunden wieder üben.
Statt ein Sitz zu sagen und den Napf abzustellen, wird der Napf versucht abzustellen. Sobald sich der Hund dem Napf nähert, wird er wieder hochgenommen. Bis sich der Hund von sich aus zurück nimmt und abwartet und NICHT durch ein Kommando dazu verdonnert wird.
Wir steigen erst aus dem Auto aus, wenn du dich ruhig verhältst und nicht, weil du sitz machen musst. Der Hund nimmt sich zurück, wartet ab und wird dann belohnt, in dem er aussteigen darf.
Impulskontrolle ist Voraussetzung für fast alles. Und ja, der Hund muss die Möglichkeit haben, dies erlernen zu dürfen! Das können die nicht von Geburt an. Es ist unfair, dass von einem Hund zu verlangen, wenn man es ihm vorher nicht beigebracht hat.
Verhaltensauffällgkeit kommt also nicht plötzlich. Es ist ein Prozess, der unterbrochen werden kann, wenn man ihn frühzeitig erkennt.